Ayu lässt es sich sichtlich in Tollerpose gut gehen, während ich einen Science-Vortragsmarathon absolviere. Wissenschaftler und Experten verschiedener Themen rund um den Hund präsentieren ihre Erkenntnisse und die theoretischen Hintergründe auf höchstem Niveau.
Einer unter den vielen Vortragenden war Andreas Zohmann. Er ist Fachtierarzt für Akupunktur und Neuraltherapie mit Zusatzbezeichnung Physikalische Medizin, sowie tierärztlicher Leiter der Vierbeiner-Rehazentrum GmbH in Salzburg (Ö) und fachlicher Leiter der Privaten Akademie für erweiterte Tiermedizin in Bad Wildungen (Nordhessen, Deutschland).
Sein Vortrag „Bewegungsmuster – physiologische Parameter gesunder Bewegungsabläufe beim Hund“ war nicht nur lehrreich, sondern auch denkanstoßend. Der theoretische Anatomieteil zeigte, wie sehr die Gelenke und Muskeln miteinander zusammenarbeiten und gegenspielen.
Im praktischen Teil – Gangbildanalysen durften wir unsere Augen an Videos schulen. Unter Hunden, die mit vielen Erbkrankheiten am Bewegungsapparat kämpfen, waren auch großwüchsige Hunde, die schon im Jugendalter an einer massiven Bindegewebsschwäche litten – „kein Gangbild, sondern ein Zustand!“ meinte Herr Dr. Zohmann und „hauptursächlich dafür scheint minderwertiges Protein in hohen Dosen zu sein!“.
Unsere Hunde sind Meister im Kompensieren und Vertuschen ihrer Wehwehchen. Ob Verletzungen, falsche Ernährung, erworbene oder angeborene Erkrankungen im Bewegungsapparat oder Fehlstellungen, sie gleichen die Probleme zumeist mit der diagonal gegenüberliegenden Seite aus. Eigentlich ist das nicht nur beim Hund, auch wir Menschen machen das genauso. Erst wenn viel wertvolle Zeit eines Hundelebens vergangen ist, wenn es sich eben gar nicht mehr aushalten lässt, erreichen die ursprünglich gesunden, aber lange Zeit überbelasteten Körperregionen auch ihre Grenzen und die Probleme kommen ans Tageslicht bzw. werden fürs menschliche Auge unübersehbar. Dr. Zohmann`s Merksatz dazu: „Das Opfer schreit immer zuerst, nicht der Täter!“.
Deswegen sollten wir dem Hundewohl zuliebe stets aufmerksam sein und Veränderungen am Bewegungsablauf und des Verhaltens unserer Hunde wahr und ernst nehmen. Wie wir Menschen werden Hunde auch jähzornig, gereizt, aggressiv oder andersrum antriebslos, passiv und depressiv, wenn sie Schmerzen haben. Ein frühes Erkennen und Behandeln bzw. darauf Eingehen und Rücksicht Nehmen erspart nicht nur unseren Hunden einen langen Leidensweg, sondern auch uns Menschen: viel Wehmut, Mitleid, nerven- und zeitraubende Therapiemaßnahmen und schließlich viel Geld.
Viele Probleme lassen sich durch Früherkennung im Zaum halten. Dafür sollten Gangbildspezialisten, Physiotherapeuten und spezialisierte Tierärzte Gelegenheit bekommen, ihre Stärken auszuspielen, und unsere Hunde frühzeitig und ganzheitlich unter die Lupe zu nehmen. Zum Beispiel gibt eine prophylaktisch durchgeführte HD-Untersuchung zwischen der 16. und 20. Lebenswoche schon zuverlässig Auskunft, wie es um die Gesundheit unserer Vierbeiner bestellt ist. Wir müssen also nicht mehr warten, bis der Bewegungsapparat ausgereift und ein Eingreifen zu spät ist – nein – mit individuell abgestimmter und gesunder Ernährung, sowie gezieltem Bewegungstraining können wir das Ruder herumreissen und gewinnen Zeit mit unseren vierbeinigen Partnern, die für uns Spaß und Freude statt Leid und Sorge bringt.
Leben ist Kommunikation
Aber nicht nur Training spielt eine große Rolle, wir sollte auch die alltäglichen Spaziergänge nicht außer Acht lassen. Sandra Foltin (D) veranschaulichte in ihrer Studienpräsentation „Leinen los – qualitativ hochwertiger Freilauf bei Hunden“ wie sehr freies Bewegen und Erkundungsverhalten der Hundeseele guttut und im Gegenzug ständiges Gehen an kurzer Leine am Körper und der Psyche nagt. Auch ob unsere Hunde in den Genuss freier Bewegung kommen hat einen enormen Einfluss auf die Qualität der Beziehung zu unserem Vierbeiner. Viele HundehalterInnen gaben an, dass ihre Hunde beim Freilauf bei erster Gelegenheit auf die Jagd gehen würden. Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass die Hunde vorwiegend Erkundungs- und Explorationsverhalten und eben kein Jagdverhalten an den Tag legten. Unsere Hunde lesen und besser einzuschätzen, als auch körpersprachlich mit eindeutigen Signalen mit ihnen zu kommunizieren, könnte der Schlüssel zu einem angenehmeren und respektvolleren Zusammenleben sein.
Kommunikation ist Beziehung
Auf der anderen Seite: unsere Hunde sind uns in diesem Punkt weit voraus! Das beweisen uns die Forschungserkenntnisse von Adam Miklosi (HU). Sein Vortrag „Hund-Mensch Kommunikation – der Mensch als Informationsquelle“ lehrt uns, dass unsere Hunde menschliche Gesten und Emotionen unglaublich gut verstehen können. Sehr spannend fand ich das Thema, ob Hunde menschliche Emotionen unterscheiden können und wie sie darauf eingehen. Dazu wurden 2 Apportiergegenstände ausgelegt, wobei der Besitzer bei einem Gegenstand eine emotionale Geste der Freude und gegenüber dem anderen eine des Ekels oder der Gleichgültigkeit zeigte. Daraufhin durften die Hunde selbst wählen, welchen Gegenstand sie apportieren- und siehe da: Freude-Gegenstände wurden freudig apportiert!
Wurden hingegen die Gegenstände mit Gleichgültigkeit ausgelegt, wurden diese unbedeutend und ohne Präferenz von den Hunden apportiert, egal ob der Mensch dem Hund die Wahl des Gegenstands überließ oder ihm vorgab, welchen Gegenstand er apportieren sollte.
Ich werde diese Erkenntnis ins Dummytraining mitnehmen und bin neugierig, ob auch unsere Hunde so auf unsere Emotionen eingehen werden. Ob es auch hilft, wenn ich mich vor draußen herumliegenden Dingen ekle, sodass meine kleine Ayu auch zunehmend Desinteresse an diesen Dingen zeigt?